Hoffnung über den Tod hinaus?

Boehme, Katja (Hg.): Hoffnung über den Tod hinaus? Eschatologie im interreligiösen Lernen und Lehren. Heidelberg 2016, 152 S.

Gerade die Eschatologie, die Lehre von den „letzten Dingen“, ist für die Hoffnungsdimension der abrahamitischen Religionen von großer Bedeutung: Wird sich das Vertrauen in einen Gott bestätigen, der auch und gerade jenseits des Todes Gerechtigkeit, Frieden, Verzeihung und Erlösung schenkt? Welche ethischen und ontologischen Rückschlüsse können für das irdische Leben der Gläubigen gezogen werden?

Diesen Fragen stellt sich das vorliegende Buch, eine Sammlung von Aufsätzen, welche eschatologische Perspektiven aus Judentum, katholischem Christentum, evangelischem Christentum, Islam und Philosophie beleuchtet.

In ihrem einführenden Artikel (S. 7–16) betont Katja Boehme nach einer kurzen inhaltlichen Zusammenfassung der Beiträge die Bedeutung der Publikation für das interreligiöse Begegnungslernen zwischen Judentum, Christentum und Islam. Dazu stellt die Autorin in tabellarischer Form eine Synopse zu den einzelnen Aufsätzen des Buches über theologische Perspektiven der Eschatologie bereit und gibt methodisch-didaktische Hinweise zur Arbeit mit der Publikation in Kursstufe und PH-Studium.

Daniel Krochmalnik erinnert in seinem Beitrag zur jüdischen Eschatologie nach Moses Maimonides (1138–1204) daran, dass viele traditionelle Jenseitshoffnungen im Judentum an einer sinnlich-materiellen Weltsicht orientiert waren. Der Gerechte würde dann jedoch „vom Sünder nicht durch andere, edlere Bestrebungen auszeichnen, sondern nur durch klügeren Kalkül und in Erwartung größerer Genüsse auf die Befriedigung seiner augenblicklichen Wünsche verzichten“ (S. 21). Eine solche Belohnungsmoral aber liefe Gefahr, das eschatologische Ziel der „Glückseligkeit“ (S. 22) zu verfehlen, denn diese zeichne sich insbesondere dadurch aus, dass Lebenssinn und Lebensziel primär durch die Erfahrung und Verwirklichung übersinnlicher Werte wie Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit gefunden werden können. Die alttestamentlichen Mythen von Paradies und Erlösung haben nach Moses Maimonides jedoch dann bleibende Berechtigung, wenn sie nicht wörtlich, sondern allegorisch verstanden werden. Im Zuge dessen sei sowohl die Rettung Einzelner als auch das Heil der Menschheit in den Blick zu nehmen, um eine „weltflüchtige Religiosität“ zu vermeiden, welche die Mitverantwortung des Menschen für eine gerechte Welt und ein Leben in Würde nur unzureichend betone (S. 26f.).

In ihrem Aufsatz zum Eschatologieverständnis aus katholischer Sicht verweist Julia Knop zunächst darauf, dass gerade das Wissen um den Tod das entscheidende Charakteristikum des Menschseins ausmache (S. 35). Diese Endlichkeit und Begrenztheit des Lebens könne letztlich nur durch die Verbundenheit mit Jesus Christus überwunden werden: Er, als Person, durch seine Selbsthingabe am Kreuz und seine Auferstehung, habe Hoffnung auf Erlösung und ewiges Leben grundgelegt (S. 37f.). In der spannungsvollen Erwartung seiner Wiederkunft erleben Christinnen und Christen, dass sein Reich zwar schon begonnen habe, aber noch nicht vollendet sei (S. 39f.). Da wir menschliches Leben nur in konkret-leiblicher Gestalt kennen, komme überdies auch der Hoffnung auf leibliche Auferstehung zentrale Bedeutung zu: Im Zusammenhang mit der Auferstehung gehe es gerade nicht um eine Befreiung vom Leib, sondern um dessen „heilende Verwandlung“ (S. 44). Schließlich betont die Autorin, dass sich göttliche Gerechtigkeit vor allem durch Barmherzigkeit manifestiere, welche menschliche Schuld zwar ernst nehme – gerade mit Blick auf die Entrechteten – darüber hinaus aber auch eine eschatologische Versöhnung von Tätern und Opfern ermögliche (S. 49f.).

Dorothee Schlenke entfaltet in ihrem Beitrag evangelische Perspektiven der Eschatologie. Hierbei ist sowohl Letztes (im zeitlichen Sinne) als auch Letztgültiges (Ziel der Welt- und Menschheitsgeschichte) in den Blick genommen. Auch in diesem Aufsatz wird die eschatologische Spannung zwischen „schon jetzt“ und „noch nicht“ betont; darüber hinaus weist die Autorin auf den engen Zusammenhang zwischen Eschatologie und Sinnfrage hin

(S. 59): Ein sinnstiftender Erwartungshorizont, auch über die Grenze des Todes hinaus, erweise sich gerade in Lebenskrisen oft als unverzichtbar. Schlenke betont in diesem Zusammenhang, dass der Mensch Gottes Gerechtigkeit, auch schon in der Gegenwart, im Grunde stets „als passive, [ihm] im Glauben zukommende (…), grundlose, da unverdiente Barmherzigkeit“ erfahre (S. 61). Mit dieser Überzeugung knüpft sie eng an Martin Luthers Rechtfertigungslehre und deren Grundprinzip „nur die Gnade“ an. Betont wird jedoch mit Blick auf die Rede Jesu vom Weltgericht (Mt 25,31–46), dass auch Taten selbstloser Nächstenliebe, als Früchte des rechtfertigenden Glaubens, von entscheidender Bedeutung seien (vgl. Mt 10,8: „Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben“). Das Gericht selbst stehe dann unter dem Vorzeichen der Hoffnung auf die Enthüllung endgültiger Wahrheit und den Vollzug letztgültiger Gerechtigkeit (S. 70).

In ihrem Beitrag zur Eschatologie im sunnitischen Islam analysieren Abdel-Hakim Ourghi und Bernd Feininger zunächst Aussagen des Korans. Hierbei wird das Vertrauen in Allah als Allerbarmer und gerechten Richter betont (S. 87), als „Gott, der die Toten lebendig macht“ (S. 84). Gleichzeitig weisen die Verfasser darauf hin, dass die eschatologischen Bilder und Vorstellungen im Koran auf ganz besondere Weise dem Selbstverständnis des Menschen dienen (S. 86), der Antwort auf seine Fragen nach Identität („Wer bin ich?“) und nach unbedingt geltenden ethischen Imperativen („Wie soll ich sein?“). Zitiert werden in diesem Zusammenhang Textstellen, welche auch die Heilsmöglichkeit für Nichtmuslime hervorheben, sofern diese „an Gott und den jüngsten Tag glauben und tun, was recht ist“ (Sure 2,62, auch 5,69 und 22,17). Dies wird mit Aussagen des II. Vatikanischen Konzils aus „Lumen Gentium“ („Licht der Völker“) und „Nostra Aetate“ („Unser Zeitalter“) in Zusammenhang gebracht, welche ebenfalls den göttlichen Heilswillen auch in anderen Religionen ausdrücklich anerkennen, besonders im Judentum und im Islam. (S. 90–94)

Dass die teilweise sehr sinnlich-konkreten Heilsverheißungen des Korans missbraucht werden, um Muslimen zu Gewalttaten gegen Andersgläubige zu manipulieren, verurteilen beide Autoren auf das Schärfste. Demgegenüber interpretieren sie diese Prophezeiungen metaphorisch als Hoffnungsbilder auf das Übersinnliche (S. 99): darauf, „dass die Gläubigen alles Gute auf ewig besitzen werden“ (S. 95). Diese transzendentale Symbolik komme in den Kalligraphien, der geistlichen Lyrik, den Moscheen und Paradiesgärten als „Abbildern des Paradieses“ mit ähnlicher Intensität zum Ausdruck (S. 100), wodurch es gelinge, Materie im Sinne einer „Ästhetik der Ewigkeit“ (S. 98) transparent zu machen.

Hans-Bernhard Petermann greift in seinem Beitrag zur Bedeutung eschatologischer Themen für die Philosophie zunächst Immanuel Kants Frage „Was dürfen wir hoffen?“ auf, um anschließend das Phänomen der Hoffnung, auch über den Tod hinaus, als unverzichtbares Thema der Philosophiegeschichte hervorzuheben: von Thales über Sokrates, Hegel und Walter Benjamin bis hin zu Ernst Bloch. Deutlich wird dabei ein breites Spektrum von tief skeptischer (Benjamin) bis ausgesprochen zuversichtlicher Geschichtsphilosophie (Hegel). Bei allen kritischen Anfragen der Philosophie an die Antworten der Religionen, vor allem in Bezug auf deren Universalisierbarkeit, zeigen sich jedoch auch deutliche Parallelen: Die Bedürftigkeit des Menschen nach Sinn und Ziel, nach der „teleologischen Ausrichtung des Lebens“ (S. 111) und einem vernunftbestimmten Leben in Freiheit und Gerechtigkeit, ja nach „Glückseligkeit“ (S. 119), wird auch hier nicht bestritten – trotz der Grenzen, die uns durch Raum, Zeit, Erfahrung, Sprache und Kausalität gesetzt sind. Umstritten ist jedoch, wie konkret Hoffnungsinhalte formuliert werden können und sollen. Die Philosophen der Aufklärung, vor allem Kant, betonen darüber hinaus, dass eine wahrhaft sittliche Gesinnung lediglich nur dann möglich sei, wenn der Mensch sich zunächst durch rechtes Verhalten und Handeln der Hoffnung auf Glückseligkeit als würdig erweise (vgl. S. 120).

Ein weiterer Beitrag Hans-Bernhard Petermanns befasst sich mit dem Gemälde „Auferstehung des Lazarus“ von Michelangelo Caravaggio (ca. 1609, vgl. S. 127) und Johannes 11,1–45, der diesem Kunstwerk zugrunde liegenden Perikope. Dabei verdeutlicht der Autor, wie Caravaggio nicht nur überraschende Tiefendimensionen des Textes zum Vorschein bringt, sondern auch Ambivalenzen gerade in den Aussagen dieser Bibelstelle zum Thema Auferstehung deutlich macht.

Der abschließende Beitrag von Katja Boehme und Sarah Brodhäcker über die bisherigen Projekte und Erfahrungen mit interreligiösem Begegnungslernen an der PH Heidelberg, auch zum Thema Eschatologie, macht durch Auswertung einer Umfrage deutlich, dass fast alle am Projekt beteiligten Studierenden den Dialog mit Gläubigen anderer Religionen als bereichernd erfahren und dabei auch einen vertieften Zugang zum je eigenen religiösen Bekenntnis gefunden haben (S. 144f.). Darüber hinaus empfehlen die befragten Studierenden mit großer Mehrheit, dieses Konzept der religiösen und ethischen Bildung bereits in den Rahmen des schulischen Religionsunterrichts zu integrieren (S. 146–148).

Für Studierende (Lehramt) und Lehrkräfte des Fachs Religion wird hingegen bereits seit 2013 in Kooperation der Pädagogischen Hochschulen Heidelberg, Karlsruhe und Weingarten sowie der Heidelberger Hochschule für Jüdische Studien der Zertifikatsstudiengang Interreligiöses Begegnungslernen angeboten, der den Teilnehmenden neben vertieften theologischen Kenntnissen anderer monotheistischer Weltreligionen auch Begegnungen mit Gläubigen dieser Religionen ermöglicht. Der vorliegende Band ist aus einem interreligiösen Kooperationsprojekt des Sommersemesters 2014 im Rahmen dieser Zusatzqualifikation hervorgegangen.

Auch wenn nicht alle inhaltlichen Aspekte des Themas berücksichtigt werden konnten, bietet der Band grundlegendes Wissen sowie zumeist gut verständliche Informationen über die eschatologischen Positionen der einzelnen Religionen und Konfessionen. Unter Zuhilfenahme der Synopse und der methodisch-didaktischen Hinweise (S. 13–15) kann die Publikation bereits im Religionsunterricht der Kursstufe (Dimension Religionen und Weltanschauungen) und in Beruflichen Schulen (Dimension Glauben und hoffen) verwendet werden.

Das Buch ist im Medienportal der Mediathek Freiburg und einigen der 16 Religionspädagogischen Medienstellen der Erzdiözese Freiburg entleihbar.

Weitere Informationen finden sich hier>>

Josef Gottschlich

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