Werte-Erziehung und Schule, Ein Handbuch für Unterrichtende

Mokrosch, Reinhold/Regenbogen, Arnim (Hg.): Werte-Erziehung und Schule, Ein Handbuch für Unterrichtende, Göttingen 2009.

Naurath, Elisabeth/Blasberg-Kuhnke, Martina/Gläser, Eva/Mokrosch, Reinhold/Müller-Using, Susanne (Hg.): Wie sich Werte bilden, Fachübergreifende und fachspezifische Werte-Bildung, Göttingen 2013.

 Im Jahr 1991 formierte sich an der Universität Osnabrück die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Empirische Werteforschung, die 1995 in Arbeitsgemeinschaft Werte-Erziehung in Gesellschaft und Religion umbenannt wurde und heute als Forschungsstelle für „Interdisziplinäre Werte-Bildung“ wertvolle Forschungsarbeit zu dem gesellschaftlich höchst relevanten Themenfeld Werte-Bildung leistet. Von Beginn an war es dem beteiligten Forscherkreis wichtig, die Frage nach der Vermittlung von Werten nicht auf einen Fokus zu verengen, sondern das Themenfeld interdisziplinär zu bearbeiten. Bereits die Titel der beiden Bücher, auf die in diesem Zusammenhang aufmerksam gemacht werden soll, markieren eine forschungsgeschichtliche Entwicklung, die in der veränderten Begriffswahl ihren Ausdruck findet.

Das von Reinhold Mokrosch und Arnim Regenbogen herausgegebene Handbuch zur Werte-Erziehung spricht von der „Werte-Bildung durch Erziehung“ und setzt bei „der Gleichwertigkeit, ethischer und ästhetischer, moralischer und religiöser, politischer und rechtlicher, ökologischer und vitaler Wertbereiche für eine umfassende Werte-Erziehung an (S. 30). In über vierzig profunden Artikeln werden die Grundwerte und ihre Facetten erörtert, die schultheoretischen Grundlagen einer Werte-Erziehung im Lebensraum Schule erwogen und beispielhaft ausgeführt, dass Werte-Erziehung ein übergreifendes Unterrichtsprinzip ist, das nicht nur die sogenannten Wertefächer Religion und Ethik angeht. Das Handbuch ist im besten Sinne ein Nachschlagewerk, das auch ein Lexikon der Werte bietet, in dem häufig gebrauchte Begriffe in gut verständlicher Weise erläutert werden.

Im Jahr 2013 begründete die Forschungsstelle für „Interdisziplinäre Werte-Bildung“ der Universität Osnabrück eine gleichnamige Reihe, deren erster Band sich mit der Frage auseinandersetzt, wie sich Werte bilden und damit bereits im Titel den begrifflichen Neuansatz erkennen lässt, der sich in der Forschung zwischenzeitlich, nicht zuletzt auf der Grundlage der herausragenden Arbeiten des Soziologen und Philosophen Hans Joas, allgemein durchgesetzt hat.

Martina Blasberg-Kuhnke umreißt in dem vorliegenden Band im abschließenden Ausblick auf die zu leistende Arbeit, dass es den Mitgliedern der Forschungsgruppe um eine „zukunftsfähige (…) Förderung des Werte-Diskurses für die Einzelnen und die Gesellschaft“ (S. 287) gehe, die vor allem fordere, einer fächerübergreifenden Werte-Bildung den Vorrang gegenüber „fächerspezifischer Werte-Bildung“ einzuräumen (S. 286). Voraussetzung hierfür sei, die „Breite der beteiligten Disziplinen aus Geistes-, Kultur-, Natur- und Humanwissenschaften“ als Chance zu begreifen, um sich über ein „fächerübergreifendes Verständnis von Wertebildung“ zu verständigen. In einem entscheidenden Punkt hat sich die Forschergruppe bereits entschieden. Sie gibt dem Begriff Werte-Bildung den Vorzug vor dem über viele Jahre vorherrschenden Begriff der Werteerziehung, dessen Perspektive vor allem die „Normen-Erziehung“ gewesen sei. „Bei der Normenerziehung geht es darum Schüler und Schülerinnen zu befähigen zu entscheiden, was geboten oder verboten, erlaubt oder nicht erlaubt, möglich oder unmöglich, bedenklich oder unbedenklich, verwerflich oder willkommen ist. Die dazu herangezogenen Normen werden von außen an die Schüler [und Schülerinnen] herangetragen, weil sie objektiv und gesellschaftlich bedingt sind.“ (S. 286)

Ganz anders verhält es sich mit dem Ansatz der Werte-Bildung, der Schülerinnen und Schüler zu einer freien, selbstreflexiv verantworteten Entscheidung befähigen soll. Sie „lernen zu entscheiden, was wertvoll oder wertlos, sinnvoll oder sinnlos ist. Die dazu herangezogenen Werte sind zwar auch gesellschaftlich bedingt, aber nicht festgelegt. Sie müssen von jedem und jeder Einzelnen auf eine Situation bezogen und subjektiv angewandt werden. Deshalb reden wir von Werte-Bildung, weil es sich um Selbst-Bildung auf der Basis von Reflexions- und Diskursprozessen handelt.“ (S. 286)

Werte-Bildung sei dann mehr als die Fähigkeit sich kognitiv zu ethischen Fragen zu verhalten, vielmehr gehe es auch „um eine emotional fundierte ethische Haltung, die sich in verantwortlichem Handeln zeigt.“ (S. 286)

Die genannten Aspekte werden in dem vorliegenden Band interdisziplinär dargestellt und bewertet. Im ersten Teil werden die Grundlagen des skizzierten Begriffs der Werte-Bildung erhoben, bevor im zweiten Teil (S. 125 – S. 284) Konkretionen der unterschiedlichen Zugänge zur Werte-Bildung aus der naturwissenschaftlicher, sportpädagogischer, philosophischer, ästhetischer Perspektive und der Sicht eines wertebildenden Sachunterrichts dargestellt werden.

Die Tatsache, dass Werte-Bildung vor allem auch eine Sache des Religionsunterrichts ist, schlägt sich insofern nieder, als drei religionspädagogische Beiträge die Sichtweise einer inklusiven Religionspädagogik, den Beitrag biblischer Texte zur Werte-Bildung und zu einer im Evangelium verorteten narrativen Grundstruktur christlicher Ethik diskutieren.

Beide Bücher, das Handbuch „Werte-Erziehung und Schule“ und der erste Band „Wie sich Werte-bilden“ ermöglichen einen gründlichen Überblick zur angezielten Thematik und bilden zugleich Linien einer Forschungsentwicklung ab, die noch nicht abgeschlossen ist. Deshalb ist es zu wünschen, dass dem ersten Band der genannten Reihe weitere folgen, um das berechtigte Anliegen einer interdisziplinären Werte-Bildung noch präziser fassen und beschreiben zu können.

Joachim Kittel

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