Im Praxistest: Manfred Eders „Kirchengeschichte in Karikaturen“ als didaktische Grundlage gymnasialen Religionsunterrichts

Inhalt, Aufbau und Methodik

Mit der ganz besonderen inhaltlichen und methodischen Gestaltung seines neuen Buches „Kirchengeschichte in Karikaturen“, das im Grünewald-Verlag erschienen ist, legt der Osnabrücker Lehrstuhlinhaber für Kirchengeschichte Prof. Dr. Dr. habil. Manfred Eder ein außergewöhnliches und höchst interessantes Werk im Themenkreis der Schul- und Hochschuldidaktik vor.

Dass er sich darin gerade mit Karikaturen zur Kirchengeschichte auseinandersetzt, zeugt von einem ausgeprägten Gespür für die sprichwörtliche „Nische“, welche den Weg des Religionsunterrichts ins Unerwartete, Überraschende und Spannende führen kann. Damit dieses Vorhaben auch wirklich gelingt, bietet der Autor eine Menge historisches Fachwissen auf, das er inhaltlich gut verständlich und methodisch geschickt aufbereitet. So werden die Lesenden im Zusammenhang mit jeder Karikatur, die das Buch vorstellt, behutsam an der Hand genommen und sicher durch die Untiefen der didaktischen Analysen geführt, ohne sich zu sehr gelenkt fühlen zu müssen, denn Eders Texte und seine Auswahl an zusätzlichem Material erschaffen einen weiten Raum wissenschaftlich fundierten Denkens, in dem es vielfältige Richtungen und Ausstrahlungen gibt, in dem jederzeit Spannendes und Überraschendes möglich ist und mit dem es sich gut arbeiten lässt, wenn man als Lehrerkraft und/oder Religionsdidaktiker an die Planung einer Unterrichtsstunde herangeht.

Cover EderDie Sachanalyse, in diesem Fall die zeitliche und künstlerische Verortung der jeweils vorgestellten Karikatur, bildet die Basis für jedes Kapitel. Sie widmet sich prägnant der Entstehungszeit, der besonderen historischen Situation und dem Hintergrundwissen über die dargestellten Persönlichkeiten oder Vorgänge. In diese für die Deutung grundlegenden Texte sind zusätzliche Informationskästen, vom Autor selbst so genannte „INFO-BOXEN“, eingefügt, in denen Fachbegriffe aus der Kirchengeschichte knapp und informativ, wo es notwendig erscheint auch ausführlicher, erläutert werden. Dazu liefert Eder ausgewähltes Bildmaterial, das Zusammenhänge veranschaulicht und Blicke in alternative Richtungen ermöglicht. Die dritte Ebene bilden schließlich hilfreiche Fußnoten, die jedem, der intensiver oder unter wissenschaftlichen Kriterien vertiefter in die vorgestellte Materie eindringen möchte, eine zuverlässige und vielfach vernetzende Wissens- und Recherche-Quelle anbieten. Auf und mit den genannten drei Ebenen lässt es sich jederzeit hervorragend betreut arbeiten, da die oft so mühsame sachanalytische Vorbereitung neuen Unterrichtsmaterials nicht nur vereinfacht, sondern gänzlich vom Autor übernommen wird. Dies entlastet die Schultern der Lehrerin und des Lehrers doch erheblich und spart Zeit, Mühen und Kräfte, die nun der eigentlichen Einsatzplanung des Materials in der Unterrichtsstunde zugutekommen können.

Wie der Untertitel des Werks schon preisgibt, spannt sich der Zeitraum, aus dem die vorgestellten Karikaturen ausgewählt sind, von der Französischen Revolution bis in die Gegenwart. Eder gliedert seine 37 Karikaturen in zwei Gruppen: Das von ihm so genannte „lange“ 19. Jahrhundert und „Von der Weimarer Republik bis zur Gegenwart“. Da die Kirchengeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts in den Lehrplänen der unterschiedlichen Schularten eher selten auftaucht, wird sich die Arbeit mit dem angebotenen Material durch indirekte Verknüpfungen, etwa im Rahmen der Behandlung der katholischen Soziallehre in der Oberstufe [Kar 16, S.172ff], oder direkt im Zusammenhang mit Einzelthemen wie Glaube und Wissenschaft [Kar 4, S. 46ff], Glaubens- und Kulturkampf [Kar 8-10, S. 96-123] oder Säkularisation [Kar 3, S. 36ff] anbieten. Das in allen Lehrplänen verankerte Thema Kirche und Nationalsozialismus findet in den Karikaturen 17 bis 20 seine Entsprechung. Dann geht der Weg schnell in die Gegenwart, wobei es nun der Lehrkraft überlassen bleibt, wo er denn die Schwerpunkte seiner Arbeit mit den angebotenen Materialien setzen möchte. Die Themenkreise Rolle des Papsttums in der Moderne, Umgang der Kirche mit moderner Kunst, Kirchliches Lehramt und moderne Wissenschaft, die Themen des II. Vatikanischen Konzils sind thematisch ebenso vertreten wie die Spezifika der beiden „amtierenden“ Päpste Benedikt XVI. und Franziskus.

Einsatzbeispiel: Die Arbeiterfrage im frühen 19. Jahrhundert

Exemplarisch für den unterrichtlichen Umgang mit den Materialien der „Kirchengeschichte in Karikaturen“ soll an dieser Stelle die Karikatur 16 „Die Arbeiterfrage – ein kontroverses Thema in der Kirche (16. Februar 1914)“ (S. 172) ausgewählt werden. Der Hauptgrund dafür ist, dass sich diese Karikatur besonders gut dazu eignet, im Unterricht szenisch bearbeitet zu werden.

Vom Lehrplan her passt das Thema der Karikatur zu 12.2 „Ethische Kompetenz aus christlicher Sicht: aktuelle Herausforderungen“ im bayerischen Lehrplan für Gymnasien. Auch im neuen Lehrplan PLUS wird in 12.2 das Thema „Christliche Ethik als Orientierungsmaßstab der Weltgestaltung“ vorhanden sein. Damit ist die Relevanz unseres gewählten Beispiels auch in die Zukunft hinein abgesichert.

Auch im baden-württembergischen Lehrplan gibt es Anknüpfungspunkte. In der Kursstufe passt es zu den noch gültigen Themenfelder „Gerechtigkeit – Lebensprinzip der Gesellschaft“, „Kirche“ und „Mensch sein“.

Im Bildungsplan 2016, der ab 2021 auch in der Oberstufe Gültigkeit haben wird, heißt es in den inhaltsbezogenen Kompetenzen im Bereich „Welt und Verantwortung“: „Die Schülerinnen und Schüler können in Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart auf der Grundlage christlicher Ethik Perspektiven für eine menschenwürdige Zukunft entwickeln.

(1) an einem Beispiel die Relevanz der Katholischen Soziallehre aufzeigen (zum Beispiel gerechtes Wirtschaften, Solidarität zwischen den Generationen, Arbeit und Kapital, Migration, Ungerechtigkeit als Kriegsgefahr)“ (3.4.2(1) und 3.5.2(1)).

Das Ziel der Unterrichtsstunde (womöglich eine Doppelstunde) ist die Erschließung, was unter der sozialen Frage zu verstehen ist und wie sich die Katholische Soziallehre am Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. Dies soll am Beispiel der Gewerkschaftskämpfe demonstriert werden.

Die Möglichkeit, sozialethische Positionen unter historischen Paradigmen in ihrer Gegensätzlichkeit darzustellen, bietet das Bild aus dem „Simplicissimus 18“ des Jahres 1914 allemal. Eder beschreibt die Darstellung eindeutig und klar. Die sechs abgebildeten Personen teilen sich in drei „Gruppen“ auf, zwei Einzelpersonen und eine Vierergruppe. Dabei wirkt die arbeitende Einzelperson im Hintergrund isoliert und steht in keiner erkennbaren Kommunikationsbeziehung zu den weiteren Figuren. Die Vierergruppe agiert äußerst aktiv mit ausgestreckten Armen und greift in ihrer dunklen Darstellung in das strahlende Weiß des bischöflichen Gewandes hinein. Der Bischof bzw. Kardinal selbst steht seitlich und körperlich abgewandt zur Gruppe, dreht aber seinen Kopf in deren Richtung und blickt sie an. Die Mimik wirkt „ratlos“ (S. 173), wie Eder meint, vielleicht auch skeptisch, jedenfalls ohne erkennbare Empathie. Die Gestalt des Geistlichen ist etwas größer als die der Arbeiter.

Verknüpfung mit der Methodik des Szenischen Lernens

Die didaktische Idee ist es nun, diese Situation von Schülerinnen und Schülern zuerst nachstellen und später nachfühlen zu lassen. Dazu werden Gruppen gebildet, die aus sieben Personen bestehen: jeweils ein „Bildhauer“ und sechs Figuren. Die Bildhauer richten ihre Figuren möglichst vorbildgetreu ein. Das fertige Standbild soll unverändert über einige Minuten gehalten werden können. Am besten übt man das durch mehrmaliges Auf- und Abbauen des Bildes. Zu achten ist auf Körperspannung, Konzentration und Stille während des Vorführens. Arbeitet man mit drei Gruppen, dann beobachtet Gruppe 1 die Ergebnisse der Gruppe 2, Gruppe 2 die Gruppe 3 und diese wiederum die Gruppe 1. So ist jede Gruppe – und damit jede Schülerin und jeder Schüler – in einer Doppelfunktion tätig: agierend und gleichzeitig beobachtend. Nach einem ersten Durchgang, in dem die Bilder gegenseitig vorgestellt werden, beginnt der eigentliche szenische Prozess, der die dargestellte Situation durch das Einfühlen in die jeweiligen Rollen körperlich und kognitiv vertieft.

Mit den vielfältigen Mitteln des szenischen Lernens ergeben sich nun unterschiedlichste Möglichkeiten des Vorgehens:

 

 

–       die Vorstellung des Standbilds durch den „Bildhauer“

–       die Befragung desselben durch die Beobachtergruppe

–       die Beobachtung der Wirkung von Überlegenheits- und Unterlegenheitsgesten, das Nachvollziehen und Einprägen von Blickrichtungen und Körperhaltungen, die Formulierung von Ich-Sätzen durch die einzelnen Figuren

–       die Vergabe von Sätzen an die Figuren durch die Beobachtergruppe,

–       die Befragung einzelner Figuren

–       die Abänderung von Gestik oder Mimik durch die Beobachtergruppe

–       die Wegnahme von Figuren aus dem Standbild

–       das Hinzufügen von neuen Figuren in das Standbild

 

 

Entscheidend bei dieser Unterrichtsmethode ist, dass man im Anschluss nicht mehr reflektieren und nacharbeiten muss, weil die Schüler und Schülerinnen ihre Erfahrungen über die Rollen und deren Verhalten schon während das Agierens verinnerlicht haben.

Weitere Unterrichtsverfahren

Deswegen bleibt in der Stundenplanung Zeit, um das reiche, historisch-vertiefende Material, welches des Buch zur Verfügung stellt, zum Einsatz zu bringen. Eder hat neben einer weiteren Karikatur aus dem „Kladderadatsch“ vom 30. Oktober 1910 (S. 178) auch einen Abdruck des Gemäldes „Das Eisenwalzwerk“ von Adolph von Menzel beigefügt. Beide Materialien eignen sich zu einer genaueren Betrachtung, wenn die Lerngruppe Interesse an fächerübergreifendem und/oder kunstgeschichtlichem Arbeiten hat. Zudem bietet der Autor eine Deutung der Karikatur und die knapp zusammengefasste Biografie des damaligen Breslauer Fürstbischofs Georg Kardinal von Kopp, der in der Karikatur als „weißer Kardinal“ auftritt. Weiterhin finden sich in Eders Darstellung sowohl ein Abriss der kulturgeschichtlichen Tradition des „Rosenkranz“-Gebets im Katholizismus (diese INFO-BOX enthält selbst für Religionslehrer durchaus erhellende und gewinnbringende Informationen und bezieht sich auf die Überschrift zur Karikatur „Kardinal, bleib bei deinem Rosenkranz!“) als auch die Darstellung der historischen Umstände des Gewerkschaftsstreits von 1900 bis 1914, die der Autor auf sechs Seiten recht genau und detailliert vornimmt. Während die drei erstgenannten Textpassagen als Auswahl zur Verfügung stehen, um im Lehrervortrag, als Handout oder im Rahmen einer Sozialform bearbeitet zu werden, eignet sich der letztgenannte Abschnitt hervorragend als Informationsgrundlage für einen Kurzvortrag, der im Anschluss an die szenische Arbeit in den Unterricht integriert werden könnte. Ein abschließender Transfer auf aktuelle Problemfelder der Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie deren kritische Analyse und Bewertung schließt die Doppelstunde ab.

 

Material Möglichkeiten unterrichtlichen Einsatzes

 

 

Karikatur aus dem Kladderadatsch

 

 

 

Bildbetrachtung und -analyse (fächerübergreifender Ansatz, Kunstgeschichte)

 

Gemälde „Das Eisenwalzwerk“

 

 

Deutung der Karikatur

 

 

 

 

Text- bzw. Quellenarbeit in Lehrervortrag, Einzel- oder Gruppenarbeit; evtl. auch strukturiertes Handout

 

Biographie: Kardinal Kopp

 

 

Info-Box: Rosenkranz

 

 

Historische Umstände des Gewerkschaftsstreits 1900 bis 1914

 

 

Kurzvortrag / Referat

Durch den Einsatz der Karikatur als Vorlage für Szenisches Lernen und die Ergänzung durch didaktisch aufbereitete fachwissenschaftliche Materialien eröffnet sich ein ganzheitlicher Zugang zu einem ansonsten eher trockenen und theoretischen Unterrichtsstoff. Die Problematik der sozialen Frage im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert und die damit ursächlich verbundene Entstehung der Katholischen Soziallehre können durch das Zusammenspiel von Bildbetrachtung, szenischer Arbeit und kirchengeschichtlicher Information im Sinne eines kompetenzorientierten Unterrichts für die Schülerinnen und Schüler nachvollziehbar und nachhaltig vermittelt werden. Das Buch „Kirchengeschichte in Karikaturen“ von Manfred Eder liefert hierzu eine bereichernde und unverzichtbare Basis.

Rudi Stangl

Studiendirektor am Robert-Koch-Gymnasium Deggendorf für die Fächer Katholische Religionslehre und Deutsch, Theaterlehrer, Fachbetreuer Deutsch, Referent an der ALP Dillingen

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