Oberthür, Rainer/Obielgo, Carolin und Andreas: Was glaubst du? Briefe und Lieder zwischen Himmel und Erde. München 2017, 144 S.
Die Publikation ist das Ergebnis eines fast zweijährigen Prozesses: Zwischen Herbst 2015 und Frühjahr 2017 brachte Rainer Oberthür Antwortbriefe auf 20 Fragen von Neun- bis Dreizehnjährigen zu Papier, während das Musiker-Duo Carolin No, bestehend aus der Sängerin Carolin Obieglo und ihrem Ehemann Andreas, zu dem jeweiligen Thema entweder ein bereits veröffentlichte Lied auswählte oder ein neues schrieb. Um die Qualität der Beiträge zu prüfen und gegebenenfalls zu verbessern, erprobte der Autor die Briefe und die (meist meditativen) Lieder mit zehn- bis elfjährigen Kindern im Religionsunterricht und erlebte dabei eine überwiegend positive Resonanz, bekam aber auch weitere hilfreiche Denkanstöße.
Im Vorwort räumt der Autor ein, die Briefe für das Buch zwar selbst formuliert zu haben, versichert aber, dass ihm all die hierfür ausgewählten Fragen von Kindern und Jugendlichen tatsächlich in ähnlicher Weise bereits gestellt worden sind. Das Antworten auf Kinderfragen in Form von Briefen wird auch von einigen Kinderautorinnen und -autoren praktiziert und ist eine sehr persönliche Form der Kommunikation, welche die Leserinnen und Leser in ganz besonderer Weise Ernst nimmt.
Die Themen des Buches sind sowohl tiefgründig als auch vielfältig; es geht um die großen Fragen des Lebens: nach Anfang und Ende, nach dem Ich und den Anderen, nach Gut und Böse, Sterben und Tod, Leid und Glück, nach Kindsein und Erwachsenwerden, Sprache und Musik, Glaube und Wissen, Hoffnung und Liebe, nach dem Menschen und – ganz besonders – nach Gott. Wie in den meisten seiner Publikationen, etwa in Neles großes Buch, zeigt der Autor auch hier wieder seine besondere Vorliebe für das Philosophieren und Theologisieren mit Kindern und für Kinder.
Dass gerade auf tiefgründige Fragen jede Antwort eine nur vorläufige Gültigkeit beanspruchen kann, besonders bei religiösen Themen, räumt der Verfasser mehrmals freimütig ein und gibt zu bedenken: „Wer wirklich tiefgläubig ist, hat nicht mehr Antworten [als andere], sondern mehr Fragen.“ (S. 102) Gleichzeitig macht er Hoffnung darauf, dass ernsthafte, liebesmotivierte Menschen im Laufe ihres Lebens mit ihren Fragen und Antwortversuchen sich dem Wesentlichen und damit Gott immer mehr annähern. Auch wenn jede noch so wohlüberlegte Antwort korrektur- und ergänzungsbedürftig bleibt, was fortwährende (inter-) religiöse Gespräche unverzichtbar macht, kann sie den Fragenden doch zu einer immer größeren Reflexionstiefe verhelfen, sie unverkennbar dabei unterstützen, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden.
Aus der großen Gedankenfülle der zwanzig Kapitel der Buches sollen im Folgenden einige wichtige Grundeinsichten zusammengefasst werden: Ausschließlichkeitsdenken ist dem Autor fremd, immer wieder weist er darauf hin, dass (scheinbar) Gegensätzliches zusammengehört: denken und fühlen, glauben und wissen, vertrauen und zweifeln, Freude und Trauer, Gelingen und Scheitern. Diese frühe Einübung in dialektisches Denken, fernab von Schwarz-Weiß-Malerei oder allzu einfachen Erklärungsversuchen, ist sehr hilfreich, um auch bei emotional aufgeladenen Themen besonnen und differenziert zu argumentieren.
Dass Oberthür dies bereits Kindern im Grundschulalter zutraut und zumutet, ist beispielgebend. Auch wenn seine Erklärungen, etwa zur Unterscheidung zwischen Gläubigen, Atheisten und Agnostikern (S. 97f.) oder zwischen Eros, Freundschaft und Nächstenliebe (S. 106) beträchtliche Denkanstrengung erfordern und womöglich von manchen Viertklässlern nur teilweise verstanden werden, erliegt der Autor andererseits nie der Gefahr, die Schülerinnen und Schüler zu unterfordern oder sie mit Banalitäten zu langweilen. Zudem macht er sich zunutze, dass viele ältere Grundschulkinder bereits ein beachtliches Allgemeinwissen aufweisen, gerade auch in naturwissenschaftlicher Hinsicht.
Oberthürs Ausführungen über das spannungsvolle Wechselverhältnis zwischen Religion und Naturwissenschaft gehören zu den interessantesten des Buches. So etwa schreibt er zum Ursprung des (menschlichen) Lebens auf der Erde: „Die Erzählungen [beider Disziplinen] stellen aus verschiedenen Richtungen unterschiedliche Scheinwerfer auf. Die Naturwissenschaft hat die Wie-und-Wann-Lampen – die Bibel hat die Warum- und Wozu-Lampen. Zusammen beleuchten sie den Anfang und können mehr Licht in eine Geschichte bringen, die wir niemals ganz verstehen werden.“ (S. 31) Auch faszinierendes naturwissenschaftliches Detailwissen fügt der Verfasser immer wieder in seine Ausführungen ein.
Bei seinen Antwortversuchen auf die Frage nach der Rechtfertigung Gottes angesichts des Leidens in der Welt (v.a. S. 44ff.) betont Oberthür neben der Freiheit des Menschen auch die selbstgewählte Ohnmacht Gottes im Zuge seiner Menschwerdung, die gerade an Weihnachten und am Karfreitag, in den Zeichen von Krippe und Kreuz, besonders offensichtlich geworden sei (S. 102). Vor allem deswegen lasse sich mit großer Glaubwürdigkeit aufzeigen, dass Gewalt als Mittel zur Lösung von Konflikten im Christentum keinen Platz haben dürfe.
Die vielleicht gelungenste Passage des Buches sind Oberthürs 22 Empfehlungen für ein erfüllendes, ja glückliches Leben (S. 87f.). Diese sind z.B. gut dazu geeignet, sie Viertklässlern bei ihrem Abschied von der Grundschule mit auf den Weg zu geben.
Dass Ausdauer und geduldiges Abwarten-Können wichtige Voraussetzungen zur Verwirklichung eines gelingendes Leben sind, verschweigt der Autor hier, wie auch in anderen Zusammenhängen, keineswegs – doch ist zugleich immer wieder der zuversichtliche Grundton seiner Ausführungen vernehmbar.
Wie hilfreich auch die Kunst den Menschen auf diesem Weg begleiten kann, wird in einem der 20 Kapitel ausdrücklich thematisiert; übereinstimmend mit dem Buchprojekt geht es hierbei vor allem um die Musik. Thematisch passgenau, auflockernd und zugleich poetisch vertiefend, ist an das Ende jedes Kapitel ein Liedtext von Carolin No gesetzt. Das jeweilige Lied dazu findet sich auf der beiliegenden CD; die sechs englischsprachigen Liedtexte sind im Anhang des Buches ins Deutsche übertragen. Im Religionsunterricht eignet sich das Vorspielen eines passenden Liedes besonders gut als Einstieg in ein konkretes Thema zum Theologisieren – oder auch zum Abschluss einer Unterrichtsstunde.
Josef Gottschlich
Das Buch kann im Medienportal der Mediathek Freiburg und vielen der
16 Religionspädagogischen Medienstellen des Erzbistums Freiburg ausgeliehen werden.
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