Warum der Antisemitismus uns alle bedroht

Blume, Michael: Warum der Antisemitismus uns alle bedroht. Wie neue Medien alte Verschwörungsmythen befeuern. Ostfildern 2019, 208 S., ab Kl. 9

Vieles deutet darauf hin, dass der Antisemitismus nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Staaten wie Frankreich, Österreich oder Ungarn, in den letzten Jahren wieder stärker um sich greift. Der Autor, Religionswissenschaftler und seit 2018 Antisemitismusbeauftragter der Landesregierung Baden-Württembergs, beleuchtet in seinem Buch Hintergründe und zeigt mögliche Auswege auf.

Die Publikation ist in drei Kapitel untergliedert. Zunächst werden wichtige Kennzeichen des Antisemitismus benannt und erläutert. Der zweite Abschnitt befasst sich damit, inwieweit die hebräische Alphabetschrift einerseits zum Erfolg des Judentums und andererseits zu seiner Zurückweisung beigetragen hat. Im letzten Kapitel weist der Autor zunächst auf die Verwandtschaft des Antisemitismus mit anderen menschenverachtenden Weltanschauungen wie Rassismus, Nationalismus und Sexismus hin und erläutert, weshalb solche inhumanen Tendenzen auch zur Gefährdung der Demokratie und ihrer Wertvorstellungen beitragen. Schließlich kommt Blume noch auf die Mitverantwortung der Medien und der Bildungspolitik für die Eindämmung von menschenverachtenden gesellschaftspolitischen Entwicklungen zu sprechen.

Die zentrale These des Verfassers lautet, dass Antisemitismus auf spekulativ-irrationalen Verschwörungsmythologien beruht. Somit handle es sich nicht, wie häufig behauptet, um Verschwörungstheorien, die man argumentativ widerlegen könne. Wie schon in der Vergangenheit, etwa während der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland, gehe man von einer böswilligen globalen jüdischen Verschwörung mit dem Ziel totalitärer Herrschaft aus. Dies hängt eng mit einer radikal dualistischen Weltauffassung zusammen: „Es gibt in der Mythologie des Antisemitismus keine letzte Hoffnung und keine Erlösung, sondern nur immer wiederkehrende Zyklen von Aufstieg und Verfall“ (S. 95). Besonders Menschen mit Zukunftsängsten seien deswegen für antisemitische Propaganda anfällig –  gerade dann, wenn diese auf geschickte, suggestive und manipulative Weise vermittelt werde.

Darüber hinaus legt Blume überzeugend dar, dass für das Judentum seit jeher seine heiligen Schriften identitätsstiftend und substanzerhaltend gewesen sind: Insbesondere die größtenteils in der Krisenzeit des babylonischen Exils entstandene Tora habe sowohl Hoffnung auf Rettung aus Notsituationen als auch ethische Ideale wie die Gleichheit aller Menschen oder die Weisungen der Zehn Gebote vermittelt. Zudem habe aufgrund fehlender Vokale die Mehrdeutigkeit der jüdischen Schrift vielfältige Deutungen zugelassen, eine intensive Unterweisung durch Lehrkräfte erfordert und zugleich ein hohes Bildungsniveau ermöglicht, was zum Beispiel die überdurchschnittlich hohe Zahl von Nobelpreisverleihungen an Jüdinnen und Juden erkläre. Darüber hinaus verweist der Autor darauf, dass gerade die dem Judentum innewohnende mythenkritische Vernunft häufig entscheidend zur Durchsetzung von Menschenrechten beigetragen habe, etwa bei der erfolgreichen Bekämpfung der Sklaverei in den USA.

Über religiöse Gründe für christlichen oder islamischen Antisemitismus erfahren wir in Blumes Buch jedoch eher wenig. So etwa wird auch nicht klar genug deutlich, worin sich der Antisemitismus von Antiislamismus unterscheidet. Bedenkenswert sind aber die Anregungen des Verfassers zur Überwindung der gegenwärtigen Krise: Er empfiehlt, verstärkt den Dialog mit anderen Weltreligionen sowie den (Natur-) Wissenschaften zu suchen und dabei vor allem auf die Kraft des jeweils besseren Arguments zu vertrauen. Auch hofft er darauf, dass sich zukünftig gebührenfreie Bildungssysteme durchsetzen werden und ein, wenn auch kritisches Vertrauen zu Wirtschaft, Politik, Recht und Ethik auf breiter Basis wieder die Oberhand gewinnt. Schließlich böten auch die (sozialen) Medien viele, bislang nur unzureichend genutzte Möglichkeiten, um Aufklärungsarbeit zu leisten sowie populistische Diskriminierungen entschieden zurückzuweisen und zu entkräften.

Josef Gottschlich

 

 

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