Ermutigende Denkanstöße für die Suche nach Gott

Mit der vorliegenden Publikation schließt Rainer Oberthür seine Sucher-Trilogie der kleinen Bücher zu großen Fragen ab; zuvor sind bereits „Der Seelensucher“ (2020) und „Der Friedenssucher“ (2023) erschienen.
Zu Beginn erzählt der Verfasser, wie die Publikation „Was ist Gott? Das Buch der 24 Philosophen“ entstanden ist, das seinem neuen Werk als Vorlage diente: Vor beinahe 1000 Jahren trafen sich, wohl in Mitteleuropa, 24 bedeutende Philosophen, um sich in aller Offenheit, zugleich aber auch tiefer Ernsthaftigkeit in lebhaftem Diskurs mit der Frage nach Gott auseinanderzusetzen. Hierbei gab keine verbindlichen Vorgaben durch eine bestimmte Gotteslehre oder philosophische Denkschule.
Das Treffen endete mit der Übereinkunft, dass alle über das Besprochene eingehend nachdenken und jeder der Philosophen bei der nächsten gemeinsamen Begegnung genau ein Jahr später das ihm jeweils Wichtigste über Gott in einer einzigen Aussage, lediglich einem Satz zusammenfasst und mit den anderen teilt.

Die so entstandenen 24 Sätze stehen im Mittelpunkt des in Paris erschienenen Werkes „Buch der 24 Philosophen“, das erst 2011 von Kurt Flasch vollständig in die deutsche Sprache übersetzt worden ist. Die Autoren blieben anonym, wohl vor allem deswegen, um nicht wegen der Verbreitung (angeblicher) Irrlehren belangt werden zu können. Doch spricht es nicht für die Qualität dieser Aussagen, dass sie zu vielen Glaubensüberzeugungen zumindest der monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam eine erstaunlich hohe Passgenauigkeit aufweisen, ohne einer einzelnen von ihnen vollständig zu entsprechen? Ähnliches gilt in Bezug auf etliche Überlegungen und Einsichten der antiken Philosophie, die sich in vielerlei Hinsicht als metaphysisch offen erwiesen haben, ohne Festlegung auf eine bestimmte Theologie oder Glaubenslehre.


In gewohnter Weise gliedert und strukturiert Rainer Oberthür auch dieses Buch mit großer Klarheit und Konsequenz: In jedem der 24 kurzen Kapitel zitiert er zunächst eine der Aussagen der Philosophen aus dem 11. Jahrhundert, dann umschreibt er sie mit knappen, prägnanten Sätzen, führt sie fort, stellt sie mitunter auch vorsichtig in Frage und zeigt, zumindest indirekt, ihre Ähnlichkeit mit dem christlichen Glauben auf. Abschließend gibt er jeweils die Gedanken und Erkenntnisse eines Mädchens und eines Jungen wieder, die Kinder tatsächlich bei ihm und seinem Kollegen Alois Mayer während des Theologisierens über diese Aussagen im Religionsunterricht geäußert haben. Daraus geht eine erstaunliche Denktiefe dieser vermutlich zehn- bis zwölfjährigen Kinder hervor; deutlich wird zudem, dass ihnen die Auseinandersetzung mit solchen Fragen bereits länger und gut vertraut ist.

Die 24 Thesen über Gott machen einmal mehr deutlich, dass beim Theologisieren eine symbolische bzw. metaphorische Sprache unverzichtbar ist: Häufig werden Bilder oder Metaphern verwendet, wie etwa Kugel, Quelle, Überfluss, Dunkelheit oder Licht.
Auch zentrale philosophische Begriffe, zum Beispiel Unendlichkeit, Ruhe, Bewegung, Wesen, Sein, Nichts, Zeit und Notwendigkeit kommen vor, besonders aber Einheit, Wahrheit, Güte und Liebe. Viele der Aussagen erinnern an die Gottesaufweise der mittelalterlichen Philosophie und Theologie in Europa, ohne ihnen jedoch vollständig zu entsprechen. Die fünfte Aussage „Gott ist das, worüber hinaus nichts Besseres gedacht werden kann“ verbindet in gewisser Weise sogar die beiden vielleicht wichtigsten Gottesaufweise: dass über Gott hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“ (Anselm von Canterbury: ontologischer Gottesaufweis) und dass Gott sowohl der Ursprung alles Guten ist als auch dessen Fortdauer, zumindest als Möglichkeit, gewährleistet (Immanuel Kant: ethischer Gottesaufweis).

Aus den 24 Aussagen der Philosophen wird auch gut einsichtig, dass zum einen die Sprache ein unverzichtbares Mittel der Annäherung an Gott ist, Gott zugleich aber allein hiermit nicht erfasst und begriffen werden kann.

Im Religionsunterricht kann von der 4. Klassenstufe bis zum Abitur mit dem Büchlein gearbeitet werden; bis zum Ende der 6. Jahrgangsstufe empfiehlt es sich, Symbole als Gegenstände bzw. als Fotos, Bilder oder Zeichnungen (etwa aus der Symbol-Kartei von Rainer Oberthür, München 2012) mit hinzuzunehmen, um den Zugang zum Nachdenken über Gott zu erleichtern.

Interessant wird sein, wie Schülerinnen und Schüler sich zu den 24 Aussagen über Gott äußern, die einer anderen als der christlichen Religion angehören oder eine agnostische Weltanschauung vertreten. Vielleicht werden sie mehrheitlich begrüßen, dass diese Sätze keine Glaubenslehre und erst recht keine Glaubensvorschriften vermitteln und eher zum eigenständigen (Weiter-)Denken anregen als dieses zu bescheiden oder gar grundsätzlich in Frage zu stellen. Dass Liebe, die Sehnsucht und das Bemühen um die Überwindung von Gegensätzen oder gar Spaltungen, besonders entscheidend sind, um Spuren Gottes und auch Gottes Willen zu ergründen, wichtiger noch als Erkenntnis, geht aus vielen der Sätze recht unmissverständlich hervor. Deutlich wird aber auch, wie stark beide Phänomene miteinander verflochten sind, denn um verlässlich und wirklich tragfähig zu lieben, ist oft auch ein hohes Maß an Weisheit notwendig.

Schließlich können, auch noch in den obersten Klassenstufen, die Aussagen und Einsichten der 24 Philosophen hilfreich sein, um fragwürdige oder gar krankmachende Gottesvorstellungen (z. B. Aufpasser-Gott, Buchhalter-Gott, strafender Gott, Gott als unnachgiebig-unerbittlicher oberster Sittenwächter) zu überwinden oder gar nicht erst aufkommen zu lassen. Die 24 Sätze des Buches ermutigen vielmehr zu einem tiefen Vertrauen in Gottes Güte; sie eröffnen Denkräume anstatt diese einzuengen oder zu blockieren. Sicherheiten und letzte Gewissheiten vermitteln diese Glaubensaussagen jedoch mit guten Gründen nicht – aber die Hoffnung, dass das Gute immer möglich bleibt, weil es in Gott von Anfang an und von Grund auf verwirklicht ist. Auch wenn die dunklen, schmerzhaft rätselhaften Seiten Gottes in der Publikation vielleicht etwas zu wenig bedacht und oft nur diskret angedeutet werden, ist eine solche Ermutigung gerade in schwierigen Zeiten unschätzbar wichtig und hilfreich – besonders für Kinder und Jugendliche.

Oberthür, Rainer: Die Gottsucher. 24 Wege auf der Spur des Verborgenen. Illustriert von Barbara Nascimbeni. München 2023, 116 S., Eignung ab 9 Jahren
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Josef Gottschlich, IRP und Mediathek Freiburg

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