Im Herzen der Spiritualität

Anselm Grün/Milad Karimi: Im Herzen der Spiritualität. Wie sich Muslime und Christen begegnen können. Hg. v. Rudolf Walter, Freiburg i. Br. u.a.: Herder, 2019, 288 S., Euro 20.–

„Ohne den Frieden der Religionen ist in unserer modernen Welt, in der die Kulturen und religiösen Traditionen so eng zusammenleben, Frieden insgesamt nicht möglich.“ So beginnt Anselm Grün seine Einführung „Warum der Dialog mit dem Islam wichtig und an der Zeit ist“ (S. 6). In der Tat erfüllt das vorliegende Buch ein Desiderat: der spirituelle Dialog zwischen Christen und Muslimen nimmt in der Literatur und im Bewusstsein der Menschen leider noch eine sehr untergeordnete Rolle ein. Die beiden Autoren versuchen nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine Richtschnur für diesen Dialog vorzulegen.

Bereits der Aufbau des Buchs zeigt an, dass sich das Autorenduo über gewisse Klippen dieses Unterfangens bewusst ist: Zunächst werden wichtige Grundlagen und Hinweise für den Dialog, aber auch für dieses Buch vermittelt sowie „Provokationen“ (im Buch als „Stolpersteine“ bezeichnet) dargelegt. In diesen Stellen finden sich wichtige Vorgaben, unter anderem folgende: Stereotypisierungen sind zu vermeiden (Grün: „Natürlich weiß ich: Es gibt nicht „den Islam“, S. 7; Karimi: „Von ‚dem Islam‘ zu reden ist bereits problematisch.“, S. 15). Eine gemeinsame Grundlage, die diesen Dialog überhaupt rechtfertigt, muss gefunden werden. Diese scheint recht genau im Anspruch zu liegen, die Menschen mit Themen zu erreichen, die dem Leben entsprechen. Dabei entspricht der grundlegende Fragehorizont der anthropologischen Frageweise im ersten Abschnitt der für die römisch-katholische Kirche wegweisenden Konzilserklärung „Nostra aetate“ – so formuliert Karimi: „Aber entscheidend ist: Unsere Fragen sind die dieselben“ (S. 11; vgl. 131f.). Die Kritik, die dargestellten Formen von Christentum, vor allem aber Islam, seien Idealisierungen, die nirgendwo existierten, wird aufgenommen und von Karimi zurückgewiesen mit Verweis auf einen innerlichen, mystischen Weg, der im Islam in Erinnerung des Schaffens von al-Ġazālī durchaus als grundsätzlich mehrheitsfähig beschrieben werden kann (S. 12). Die ersten beiden Kapitel („Hinführung“ und „Stolpersteine“) sind für das Buch essentiell und sollten nicht überlesen werden, da sonst die Gefahr besteht, die Texte misszuverstehen. Diese und weitere Aspekte einer Grundhaltung für den spirituellen Dialog sorgen für einen intellektuellen und geistigen Rahmen, der erklärt werden muss, sodann aber für den eigentlichen Austausch bereit macht – gerade Unerfahrene können von diesen Passagen aber profitieren.

Der eigentliche inhaltliche Diskurs beginnt aber schon mit den „Stolpersteinen“, denn hier werden Grundlagen dargeboten, die durchaus selbst schon Teil der Diskussion sein sollen, legt doch Karimi dar, dass es keinen Absolutheitsanspruch für „die“ richtige Interpretation des Islam gibt (S. 15f.). Dementsprechend ist „das Gottesbild der Muslime“ (S. 16-18) einem innermuslimischen Diskurs ausgesetzt, ebenso wie das koranische Offenbarungsverständnis (S. 18f.). Die Wendung gegen ein essentialistisches Verständnis darf als Kritik an fundamentalistischen oder salafistischen Koranauslegungen gedeutet werden, stellt aber in sich bereits eine bestimmte Koranauslegung vor. „Heil und Erlösung“ (S. 19-21), „Religion und Gesellschaft im Anspruch des Islam“ (S. 21-22) sowie „Die Gewaltfrage“ (S. 22-24) stellen sodann die „heißen Eisen“ der gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskussion, aber auch der für den Dialog wichtigen Frage nach der Erlösungsmöglichkeit für Nicht-Muslime in den Vordergrund.

Cover_Im_Herzen_der_SpiritualitaetÄhnlich verfährt Grün und stellt die Frage nach dem „wahren Christentum“ und der Bedeutung von Dogmen (S. 24f.). Die dabei vorgelegte eher historisierende Deutung von Dogmen dürfte nicht jedem schmecken, speist sich aber aus einer tiefen Überzeugung Grüns: „Aber wenn ich das historisch Gewachsene festschreibe, bin ich ja nicht mehr auf dem Weg zu Gott, sondern verharre in einer Sicherheit, die der Glaube so nicht geben kann. Ich suche dann die Sicherheit nicht im Glauben, sondern in äußeren Dingen.“ (Grün, 25). Die Bedeutung der „Menschwerdung Gottes – eine Provokation“ (S. 25-27), „‚Der eine Gott‘, die Theologie der Dreifaltigkeit und die Gottessohnschaft Jesu“ (S. 27-29), „Die Gefahr der Vergöttlichung des Menschen“ (S. 29f.) und „Erbsünde – Erlösung durch das Kreuz“ (S. 30-32) stellt wichtige kontroverstheologische Themen für den Dialog aus islamischer Sicht so dar, dass sie verstanden und als systematische Annäherung für den Dialog verwendet werden können. „Die gesellschaftliche Rolle des Christentums“ (S. 32-24) und „Die Gewaltgeschichte des Christentums“ (S. 34f.) geht auf die Beziehung von Politik und Religion bzw. die Rolle der Gewalt als einem der größten Einwände gegen Religion ein, ohne Verfehlungen in Abrede zu stellen und die Gefahr der Gewalt im Christentum – gleiches gilt für Karimi zuvor – auszuschließen.

Nach diesen grundlegenden Bemerkungen kann der eigentliche Austausch zwischen den beiden Autoren beginnen. Dabei wird zunächst, wie bereits bemerkt, von der anthropologischen Fragestellung her begonnen: „Woher kommen wir?“. Das „Woher“ führt für beide zwangsläufig über die Geschöpflichkeit des Menschen auch zum „Wohin“, sodass die Überleitung zur Gottesfrage „Ausgangspunkt und Ziel unseres Lebens: Gott“ gut gewählt ist. Mit der Frage nach dem „Woher“ und „Wohin“ zu beginnen ist ein moderner Ansatzpunkt, dem sich das Buch aber verpflichtet (s.o.).

Der weitere Aufbau des Buchs kann als analytische Erweiterung des Grundaufbaus verstanden werden. Themen wie Prophetie, der „Streitfall“ Jesus (Christus), die Rolle Marias, die Bedeutung des Gebets, von Gebetsorten, des Pilgerns und Fastens gehen vor allem der Praxis nach und fragen primär nicht nach systematischen oder dogmatischen Einordnungen – ganz im Sinn der Prämisse, Menschen da zu erreichen, wo Fragen lebensnah auftauchen. Die Themen „Barmherzigkeit“, „Liebe“, und „Toleranz und Wahrheitsanspruch“ versuchen noch stärker die Grundhaltung des spirituellen Dialogs herauszustellen. Dabei ist es den Autoren wichtig, keinen „Kuschelkurs“ zu fahren, sondern sich der Begrenztheit menschlichen Denkens und der Erhabenheit Gottes bewusst zu sein. So schreibt Grün:

„Dieser Anspruch bedeutet nicht, dass das Christentum die Bemühungen anderer Religionen um die Wahrheit ausschließen würde. Vielmehr sind darin alle Bemühungen der Religionen um die eine Wahrheit eingeschlossen. (…) Dieser Anspruch bedeutet zudem, dass die Kirche und das Christentum selbst unter dem Gericht Gottes stehen. Sie können sich nicht einfach als die absolute Wahrheit verkünden. Denn Gott ist die eigentliche absolute Wahrheit, und wir sind alle auf dem Weg zu dieser Wahrheit. Daher muss der Absolutheitsanspruch immer auch mit der Gewissens- und Religionsfreiheit verbunden sein.“ (Grün, 124).

Ganz entscheidend ist dabei der Ansatz, sich nicht mit Gleichgültigkeit oder Indifferenz zu begegnen, sondern mit Respekt. Diesen Respekt spricht Karimi indirekt an, wenn er für die Wahrheitssuche Kriterien nennt, die sich ganz der Demut und dem Dienst Gottes verpflichten:

„Der Ort der Wahrheit im Leben ist die Wahrhaftigkeit. Wahrheit aber erweist sich im Tun, sie hat sich in der Lebenspraxis zu bewähren. (…) Die Wahrheit zeigt sich, so lehrt der Islam, im wahrhaftigen Dienst für die Menschen, in der Bewahrung der Umwelt und im Einsatz für den Frieden. Die Rede ist nicht von religiösem Eifer, sondern von unermüdlichem Einsatz für das Gute, sodass der bleibende innere Bezug zu den anderen Religionen als eine Bezogenheit im Bemühen um das Gute begriffen wird. Diese zutiefst religiöse Haltung sieht in der Begegnung mit dem anderen zunächst eine spirituelle Bereicherung. Echte Begegnung ist nämlich Dankbarkeit. Sich im Auge des anderen erblicken zu dürfen, im Angesicht des anderen sich seiner selbst gewahr zu werden bedeutet spirituelle Fülle.“ (Karimi, 129)

Grün und Karimi legen hier keine einfache Lösung vor, können allerdings auch Maßstäbe nennen, die dazu dienlich sind, nach der eigentlichen Motivation für den Dialog zu fragen. Geht es bei einem Dialog um Geltungssucht und damit – unausgesprochen – um das eigene Wanken im Glauben oder um eine Haltung, der wir in unserem Dienst an Gott und seiner Schöpfung schuldig sind? Die Antwort der Autoren ist ebenso eindeutig wie klar und kann deshalb als Lehrstück für Respekt und ein richtig verstandenes Verständnis von Mission gelten.

Dieses Verständnis wird im Kapitel „Missionierung oder Zeugnis“ zugespitzt, um allerdings die Zuspitzung selbst als falsches Verständnis darzulegen. Ein wenig unvermittelt geht Grün an dieser Stelle ohne Not auf das „Weltethos-Projekt“ ein, was der Linie des Buchs einen kleinen Makel zufügt, weil hier plötzlich doch wieder Politik und Religion in einer bestimmten Weise vermischt werden und die Plausibilität der Weltethos-Idee durchaus nicht unbestritten ist. Dieses Nebengleis hätte man sich ersparen können. Wichtiger ist das Bekenntnis zur Religionsfreiheit, die bei Karimi indes noch als von Gott gewollte Verschiedenheit begründet wird (vgl. S. 133f.). Daraus ergibt sich für Karimi eine Chance und der Gedanke, dass diese Vielheit, sofern sie von Gott gewollt ist, nahezu einen Imperativ der Neugierde und des Lernens fordert, der als kleine „Summa“ des Werks zu verstehen ist: Die faktische Vielheit der Religionen soll uns als Lerngemeinschaft in eine Begegnung bringen, um uns dem eigentlichen Ziel als religiöse Menschen näherzubringen.

Die eigentliche Radikalität des Glaubens, die darin mitschwingt, wird im Kapitel „Leben als geistlicher Kampf – die spirituelle Herausforderung“ dargelegt. Diese Texte zeugen von einem Verständnis von „Spiritualität“, das nicht verzweckt ist und daher einer Form von Selbstoptimierung dienen könnte. Im Gegenteil! Spiritualität bedeutet den Autoren nach einen Weg zu Gott über das eigene Selbst. „Per aspera ad astra“ wenn man so reden will.

Dennoch legen es die Autoren nicht auf einen geistigen Solipsismus an, wie die Kapitel „Was sollen wir tun – Recht und Ethik“, „Der Einzelne und die Gemeinschaft“, „Mann – Frau – Geschlechterbeziehung“ und „Wie zu leben wäre: spirituelle Lebenskunst“ ausführen. Spiritualität bedeutet immer schon Verantwortung, da sich der innerliche Glaube in einer Haltung, also auch im Äußerlichen zeigen sollte, ohne dabei aber nur etwas vorzuschützen. Dabei geht besonders Grün auf die „Mystik“ als Verbindung zwischen Christentum und Islam ein und liefert damit ein wichtiges Stichwort für künftige Dialogprozesse. Die in den Kapiteln verdeutlichte Verantwortung für die Welt, die immer mit der inneren Auseinandersetzung ringt, wird im nächsten Kapitel, „Mystik und säkulare Gesellschaft“, deutlich. Dieses Kapitel ist wahrscheinlich das schwerste, weil genau hier die Entgrenzung zu Islamisierung, Extremismus und Fundamentalismus am schwersten fällt. Leider gelingt es auch den Autoren, bezogen auf diese Stelle, nur bedingt, Grenzen zu formulieren. So schreibt beispielsweise Grün:

„Wer sich ganz und gar dem Geist Gottes öffnet, der wirkt auch reinigend und heilend auf seine Umgebung ein. Und wer von Hoffnung durchdrungen ist, kann diese Hoffnung auch an seine Umgebung weitergeben.“ (Grün, 173)

Öffnen sich nicht auch Extremisten – dem eigenen Anspruch nach – „ganz und gar dem Geist Gottes“? Doch zeigt sich, dass dieses Buch für eine kursorische Lektüre ganz und gar ungeeignet ist, denn dann verkennt man das Gesamtbild, das Projekt, das hinter diesem Buch steht. „Spiritualität“ soll hier nicht im Schnelldurchlauf erklärt werden, sondern ein bestimmtes Bild von Spiritualität wird entwickelt. Nur wer den gesamten Horizont des Buches kennt weiß um die Zurückweisungen von Extremismus und Fundamentalismus und welche Kriterien und Gründe dafür angeführt werden. Dementsprechend wäre eine einseitige Textauswahl, die sich allerdings für Kritiker anbieten würde, eine ganz falsche Herangehensweise an die Methodik der Autoren.

Vor einem „Ausklang“, der zugleich ein Fazit liefern möchte, wird noch auf die „letzten Dinge“ und die größten Fragen des Menschen eingegangen: „Leiden als Frage nach Gottes Willen“, „Leben – Sterben – Tod“ und „Worauf hoffen wir? Wohin gehen wir?“. Glücklicherweise wird hier keine systematische Beantwortung versucht. Vielmehr wird die eigene Verantwortung hervorgehoben und mögliche Antworten, wenn man so will, gerade als Fragen der „Transzendenz“, also der „Unbegreiflichkeit“ zugeordnet. Dennoch wird ein Antwortversuch vorgelegt, der in „Gelassenheit“ im Umgang mit dem Leid (Grün, 180) und einer besonderen Stärkung der menschlichen Verantwortung (Karimi, 183) gipfelt. Ob diese Antworten befriedigen können muss jeder Leser selbst entscheiden. Selbiges gilt für das nächste Kapitel „Leben – Sterben – Tod“, das sich in einer gewissen Radikalität an die Ausführungen aus „Leben als geistlicher Kampf“ und andere Passagen anschließt. Leben wird darin unter anderem als vorgezogenes Sterben, als vorgezogener Tod betrachtet, indem das Leben bereits eine Überwindung des Egos bedeute und deshalb den Tod als „Hineinsterben in ein neues Sein“ (Grün, 184f.) versteht, von Karimi aber auch als Grund für eine besondere Verantwortung gesehen werden kann: das Tötungsverbot erhält „im Angesicht des Todes“ (Karimi, 189) erst seinen Wert. Leben ist ein Geschenk Gottes, dem – so kann man abschließend sagen – genau deshalb auch eine Verantwortung innewohnt, die aber jedem Menschen zusteht und nicht abgenommen werden darf. Für die Autoren wird, nach den Ausführungen über die Jenseitshoffnungen, der Dialog die Menschen mit „Staunen und Dankbarkeit“ erfüllen. In der Tat eröffnet der vorgezeichnete Weg von Grün und Karimi die Möglichkeit, über den Anderen, über sich selbst, über Gott zu staunen. Denn die Begegnung, die in dem Buch nachgezeichnet wird, ist nicht nur ein Zwiegespräch, sondern eine für den Leser dankbare und zugleich herausfordernde Möglichkeit, Gott neu zu entdecken, ohne dabei einem modernen Synkretismus aufzusitzen oder Spiritualität zu verzwecken.

Als Fazit lässt sich sagen: Die Autoren bemühen sich, Dialog nicht nur als Austausch von Meinungen zu verstehen, sondern legen Wert darauf, dass ein spiritueller Austausch nur dann erfolgreich sein kann, wenn er von einer spirituell-religiösen Haltung auf andere Menschen, nicht Religionen, blickt und dabei nicht primär die Wahrheitsfrage stellt, sondern mit einer gewissen Haltung zu Gott, dem Nächsten, dem Dialogpartner beginnen soll. Diese Formulierungen sind keine rein methodische Vergewisserung, sondern setzen eine dialogische Erfahrung, die eine Kenntnis der eigenen Tradition und ein echtes Interesse am Anderen voraussetzt als grundlegende Haltung voraus. Dies ist der Haken an dem durchaus gelungenen Buch: Diese Herangehensweise kann selbstredend nicht von den Autoren verordnet werden, gehört aber zum hermeneutischen Zirkel bei der Lektüre, vor allem aber bei der praktischen Umsetzung des Buchs dazu. Sofern die einzelnen Texte nicht als wissenschaftlich-lexikographische Artikel, die reines Wissen vermitteln wollen, gelesen werden (was sie laut Anspruch der Autoren auch nicht sollen!), dann kann dieses Buch ein Anstoß für den praktischen, spirituellen, lebensnahen Dialog sein.

Im Buch taucht 21mal das Wort „Verantwortung“, 106mal das Wort „Barmherzigkeit“, 40mal das Wort „Schöpfung“, aber auch 39mal das Wort (oder Wortkombinationen mit dem Wort) „Mission“ und an prominenter Stelle von beiden Autoren der Hinweis auf, Religionen in diesem Buch nicht zu vermischen (S. 8; 132). Die Autoren schaffen es in diesem Buch, einen offenen, dabei aber dem eigenen Glauben verpflichteten Austausch über zentrale Themen unserer Zeit anzustoßen. Dieses Gespräch ist keine Aneinanderreihung von Fakten und Tatsachen, sondern möchte zum Nachdenken anstoßen. Es eignet sich damit nicht zur voraussetzungslosen Lektüre, sondern bedarf der Begleitung, der Vorbereitung, vor allem aber der Nachbereitung. Nur dann kann aus dem Impuls von Grün/Karimi ein Gespräch zwischen Menschen wachsen. Diesen wichtigen Hinweis gilt es zu beherzigen, denn das Buch ist eindeutig Ergebnis eines Prozesses zweier religiöser Experten, die, wie aus den einleitenden Kapiteln deutlich wird, durchaus in gewisser Weise Ideale darstellen.

An diesem Punkt entsteht eine Schwierigkeit, die beide Autoren nicht lösen können, weshalb aber Dialogprozesse, die sich von diesem Buch Anstöße und Leitung erhoffen, einer guten Begleitung bedürfen. Die Experten stellen ihre jeweilige Haltung dar, die sich an bedeutenderen oder unbedeutenderen Punkten von denen der Leser und Hörer unterscheiden mag. An diesem Punkt kommt es darauf an, die idealisierten Texte nicht als Ideal darzustellen, sondern als Anstoß, miteinander ins Gespräch zu kommen über Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Falls dies nicht gelingt steht die Gefahr im Raum, den spirituellen Dialog zugunsten einer spirituellen Indoktrination zu verlassen – was allerdings nicht die Intention der Autoren ist! Dies spricht allerdings sehr dafür, dieses Buch auch mit einer gewissen Aufmerksamkeit und Vorsicht zu verwenden, denn – wie die Autoren selbst schreiben:

„Religionen und Politik standen in der Geschichte immer auch in einer Wechselbeziehung. Religiöse Gefühle wurden immer wieder in den Dienst der Macht gestellt, politisch instrumentalisiert und missbraucht. Auf dieses „Doppelgesicht des Religiösen“ hat u.a. der Politikwissenschaftlicher Hans Maier hingewiesen. Auf „Befehle Gottes“ berufen sich schließlich bis heute Terroristen, Diktatoren und Nationalisten.“ (Grün, 34)

„Dass es in der islamischen Geschichte diese menschenverachtende Auslegung des ǧihād gegeben hat, rechtfertigt gar nichts, sondern zeigt die Anfälligkeit von Religionen, die nicht nur heute, sondern auch in der Vergangenheit immer wieder für politische Macht- und Herrschaftsinteressen missbraucht worden sind. Kern der spirituellen islamischen Tradition ist: Wer nicht nach „Ungläubigen“ außerhalb von sich sucht, sondern nach dem Unglauben in sich selbst, wer den Kampf nach innen wendet, ist bemüht, in sich eine innere Landschaft zu errichten, in der nicht Zorn und Leidenschaften herrschen, sondern das feurige Herz Sinnbild wird für die Offenheit des Menschen für Gott.“ (Karimi, 84).

Wer dieses Buch als Anstoß versteht, in Offenheit und Ehrlichkeit sich selbst, aber auch dem Nächsten gegenüber, nach den Gründen für den Glauben des Anderen zu fragen, wird viel über den eigenen Glauben lernen. Dieser Prozess kann aufregend, spannend, voller Freude, aber auch schmerzhaft sein. Auf jeden Fall ist Geduld gefragt sowie eine Öffnung, die aber nach Ansicht der Autoren zu einer Annäherung an Gott führen kann, dem es nicht um das Beharren auf Wahrheit und damit die Stärkung des eigenen „Ich“ geht, sondern um ein unser Selbst durchdringendes Wirken Gottes:

Das Wesen der christlichen Spiritualität besteht darin, dass wir aus der Quelle des Heiligen Geistes leben, die auf dem Grund unserer Seele sprudelt. Diese Quelle ist unerschöpflich, weil sie göttlich ist. Wir können nur aus dieser Quelle schöpfen, wenn wir durchlässig werden für den Geist Jesu Christi. Wir können den Heiligen Geist nicht für uns missbrauchen, damit wir mit seiner Energie unser Ego aufblähen. (Grün, 166).

Dieses Verständnis von Spiritualität trägt das Buch, sodass es – richtig verstanden und verwendet – Ansporn und Leitlinie für den spirituellen Dialog sein kann. Es bräuchte mehr Versuche wie diesen, der sehr gelungen ist.

Dr. Fabian Freiseis

Leiter des Referats Ökumene / Religiöser Dialog im Ordinariat Freiburg

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