Von Ablasshandel bis Zölibat. Das „Sündenregister“ der Katholischen Kirche

Bordat, Josef: Von Ablasshandel bis Zölibat. Das „Sündenregister“ der Katholischen Kirche.
Rückersdorf: Lepanto 2017, 296 S.

Sowohl Gläubige als auch Nicht-Gläubige stoßen und reiben sich immer wieder an Reizthemen, die mit der Katholischen Kirche und ihrer Lehre im Zusammenhang stehen. Solch kritische Anfragen beginnen teilweise sogar schon im Religionsunterricht der Grundschule und während der Erstkommunionvorbereitung.
Der Autor hat sich mit 36 dieser Themen auseinandergesetzt und diese „mit der Feder eines gläubigen Christen katholischer Überzeugung“ (S. 10) erläutert. Das erfolgt in alphabetisch geordneten Essays von jeweils sieben bis acht Seiten Länge, die stets durch einige, auch weiterführende, Literaturhinweise ergänzt werden.

Wie in den bisherigen Publikationen des Autors, so ist auch dieses Mal neben einem fundierten Wissen die gute Verständlichkeit seiner Ausführungen hervorzuheben: Obwohl Bordat theologisch gebildeten Leserinnen und Lesern durchaus manch Neues und Überraschendes mitzuteilen weiß, können auch diejenigen sein Buch mit Gewinn lesen, welche sich erst seit Kurzem mit dem christlich-katholischen Glauben befassen und in dessen Themenfelder einarbeiten. Dem Anliegen der Publikation sehr zugute kommt ihr sachlich- unaufgeregter Sprachstil, der fast vollständig ohne Polemik und ironische Zuspitzungen auskommt. Auch versucht der Autor immer wieder Brücken zwischen Befürwortern und Gegnern der Katholischen Kirche zu bauen, indem er aufzeigt, dass deren Positionen häufig nicht so unvereinbar sind, wie zunächst vermutet. Aus den Kapiteln Schöpfungslaube und Wissenschaft geht beispielsweise hervor, dass die Phänomene Wissen und Glauben keine unversöhnlichen Gegensätze darstellen, sondern einander in vielerlei Hinsicht auch ergänzen. Dies gilt in ähnlicher Weise für Tradition und Moderne (S. 230–237, vgl. auch Mt 13,52) oder Privat- und AblasshandelGemeinschaftseigentum (S. 222–229), was zu einer Vermeidung extremer Auffassungen führt, die sich beispielsweise in individualistischen oder sozialistischen Weltanschauungen widerspiegeln. Sowohl fundamentalistische Gläubige als auch radikale Kirchengegner können somit lernen, differenzierter und dialektischer zu denken sowie Urteile sorgsam abzuwägen und eingehend zu prüfen.
In vielen Fällen etwa ist eine negative Bewertung problematischer kirchlicher Verlautbarungen und Handlungen ohne eine gleichzeitige kritische Sicht auf den jeweiligen Zeitgeist ungerecht. Dies trifft z.B. für fragwürdige Erklärungen von Naturphänomenen und auch Lebensbeeinträchtigungen wie Krankheiten oder Seuchen zu, solange Naturwissenschaft und Medizin noch keine einleuchtenden Erklärungen geben konnten.
Des Weiteren ergibt sich als Schwierigkeit, dass auch die Bibel in Bezug auf bis heute umstrittene Themen oft keine eindeutigen Antworten gibt. Dies etwa gilt für das hochproblematische Phänomen der Dämonenaustreibung oder des Exorzismus‘. Ein anderes Beispiel ist der Zölibat, zu dem sich im Neuen Testament sowohl Pro- als auch Contra-Argumente finden lassen.
Im Zusammenhang mit historischen Themen wie dem Dreißigjährigen Krieg (Religionskriege, S. 199–206) oder dem Kolonialismus S. 115–122) zeigt der Autor auf, dass der Anteil von Staats- und Machtpolitik an Menschenrechtsverletzungen und verhängnisvollen Fehlentwicklungen oft größer und entscheidender war als schuldhafte Verstrickungen der Kirche. So etwa lassen sich für die Gegnerschaft zwischen Frankreich und Habsburg, beide seinerzeit katholischer Staaten, keinerlei religiöse, sondern lediglich politische Gründe benennen. Noch kritischer hätte der Verfassser allerdings an manchen Punkten hinterfragen können, weshalb in der Kirchengeschichte fragwürdige Anpassungen an gesellschaftliche oder politische Gegebenheiten insgesamt deutlich häufiger vorgekommen sind als Widerstand bzw. Zurückweisung unangemessener staatlicher Loyalitätsansprüche (vgl. z.B. Johann Baptist Metz: Memoria Passionis. Freiburg 42006). Besonders im Kapitel Nationalsozialismus weist der Autor jedoch auch auf erfreuliche Gegenbeispiele hin.

Eine noch differenziertere und umfassendere Erörterung der einzelnen Themen wäre bisweilen wünschenswert, war aber aufgrund der gebotenen Kürze der 36 Kapitel nicht möglich. Diesem Manko wird jedoch teilweise dadurch abgeholfen, dass immer wieder Querverweise zu inhaltlich verwandten Artikeln des Buches eingefügt sind. Des Weiteren untermauert der Autor viele seiner Ausführungen durch statistische Erhebungen neueren Datums, wodurch z.B. deutlich wird, dass der Priestermangel in vielen Staaten anderer Kontinente noch deutlich gravierender ist als in Deutschland (S. 287 f.).
Zudem ist bemerkenswert, dass einige der Essays trotz ihrer Knappheit eine erstaunliche Komplexität aufweisen. So etwa erläutert der Verfasser im Kapitel Dogma alle neun Kategorien, in welche Erkenntnisaussagen der römisch-katholischen Glaubenslehre untergliedert werden (S. 33 f.), vermittelt klar und überzeugend, dass die Unfehlbarkeit des Papstes lediglich in Bezug auf von ihm erlassene Dogmen (Ex-Cathedra-Lehrsätze) gilt (S. 239 f.) und erklärt sehr verständlich die Grundprinzipien der katholischen Soziallehre (S. 33f.).

Erhellend sind Bordats Erläuterungen insbesondere dann, wenn sie Zusammenhänge zwischen dem christlichen Menschenbild und umstrittenen kirchlichen Verlautbarungen deutlich machen. Gerade aus den Kapiteln Freiheit und Sexualmoral geht hervor, dass hierbei den Schutz der Menschenwürde eine entscheidende Bedeutung zukommt. Wenn im Sinne des Kategorischen Imperativs von Immanuel Kant der Mensch nachhaltig davor geschützt werden soll, für Andere bloßes Mittel zum Zweck zu sein, sind anspruchsvolle ethische Vorgaben unerlässlich. Das auch innerkirchlich umstrittene Thema der Wiederverheiratung von Geschiedenen, welches mittlerweile (auch aufgrund der hohen Zahl an Ehescheidungen) in der Lebenspraxis vieler Gläubigen zu erheblichen inneren Konflikten führt, bleibt in Bordats Buch jedoch ausgespart.

Auch wenn der Autor kritische Stimmen wie Hans Küng oder Karlheinz Deschner keinesfalls unterschlägt, überzeugen nicht alle seine Argumente. So ließen sich z.B. etliche gute Gründe benennen, um die eine oder andere Strukturreform der Katholischen Kirche ernsthaft zu bedenken, etwa in Bezug auf die Zulassung von Frauen zumindest zum geistlichen Amt des Diakonats.
Dennoch ist Josef Bordats Apologie im Sinne einer „warmen Politik des Bewahrens“ (Thomas Schmid) geschrieben und allen an lebhaften und fundierten Diskussionen zu theologischen Streitfragen Interessierten sehr zu empfehlen. Darüber hinaus kann sie auch dem Religionsunterricht, insbesondere ab der neunten Jahrgangsstufe, gute Dienste leisten.

Josef Gottschlich

Das Buch kann im Medienportal der Mediathek Freiburg ausgeliehen werden.
Weitere Informationen, das Inhaltsverzeichnis und eine Leseprobe finden Sie hier>>>.

Ein Gedanke zu “Von Ablasshandel bis Zölibat. Das „Sündenregister“ der Katholischen Kirche

  1. Pingback: „Warme Politik des Bewahrens“ – JoBos Blog

Hinterlasse einen Kommentar